Inklusion? – Inklusion!

In der letzten Woche waren wir mit Julian im Urlaub – gemeinsam mit unserem wunderbaren Team bestehend aus drei Pflegefachkräften, die Julian auch im Urlaub rund um die Uhr unterstützt haben. Das war großartig! Und auch an dieser Stelle noch einmal ein ganz herzliches Dankeschön an Elena, Regina und Alex.

Vom Urlaub werde ich auch nochmal berichten, aber heute geht es mir um das Thema Inklusion. Das ist uns im Urlaub sowohl sehr negativ als auch sehr positiv aufgefallen. Ich starte mal mit dem negativen Erlebnis.

Am Dienstag morgen wollten wir mit dem Boot fahren – von Niendorf-Hafen nach Scharbeutz, um dann über die Strandpromenade wieder zurück zu wandern. Wir hatten alles für Julian dabei und so organisiert, dass wir eine boot- und wanderfeste Pflegefachkraft dabei hatten. Also standen wir pünktlich 20 Minuten vor Abfahrt am Boot und Philipp orderte die Tickets. Bis dahin alles schick… Bis der Blick des Kapitäns auf Julian bzw. unseren Rehabuggy fiel. Philipp drehte sich um und meinte, der Kapitän will uns nicht mitnehmen. Ich war völlig verwirrt: „Wie? Er will uns nicht mitnehmen??“. Nein, er will uns nicht mitnehmen, weil der Rehabuggy zwingend durch eine bestimmte Tür muss, um ihn transportieren zu können. Unsere Anmerkung, dass man ihn so wie für Kinderwagen am Boot angegeben, zusammenfalten könnte, interessierte ihn nicht und unser Vorschlag, dass wir den Wagen doch auf die andere Seite stellen könnte, quittierte er mit einem Achselzucken. Es gab dann auch keinerlei Diskussion mehr. Er ließ einfach die anderen an Board und quatschte mit einem Bekannten, der vorbeikam. Er interessierte sich wirklich überhaupt nicht dafür, dass wir nicht mitfahren konnten.

Wir waren echt sprachlos! So viel Desinteresse begegnen wir selten.

Wir hatten erst noch überlegt, ob zumindest Philipp mit den Kindern und Elena mitfahren und ich den Rehabuggy zu Fuß nach Scharbeutz bringe. Aber am Ende haben wir es nicht gemacht. Wir wollten die ignorante Art des Kapitäns nicht auch noch unterstützen.

Ein Blick in die Google-Bewertungen der Reederei zeigte uns auch, dass wir nicht alleine mit dem Problem da standen. Es gab weitere Bewertungen, bei denen er Familien mit Kindern ebenfalls hat stehen lassen, weil sie einen Kinderwagen dabei hatten. Die traurigen Blicke bei denen und auch bei uns könnt ihr euch vorstellen. Wir hatten schließlich schon den ganzen Montag darüber gesprochen, dass wir Boot fahren. Und für Julian wäre es das erste Mal gewesen. Gut – nicht bei dieser Reederei.

Uns geht es im übrigen gar nicht darum, dass unbedingt alles komplett barrierefrei ist. Das ist sicherlich wünschenswert, aber noch ein echt weiter Weg. Ich weiß nicht, über wie viele Treppen und hohen Bordsteinkanten wir Julian schon gehievt haben. Uns geht es um den Willen – den Willen Inklusion zu leben. Inklusion bedeutet ganz einfach, dass jeder Mensch dazu gehört. Egal, welche Herkunft, Aussehen und auch mit welcher Behinderung. Und Inklusion geht uns alle an! Es geht darum, dass zumindest Ideen entwickelt werden, wie in unserem Fall, die Bootstour möglich gewesen wären. Zunächst hätten wir uns gemeinsam anschauen können, wie klein der Buggy überhaupt zusammenfaltbar gewesen wäre. Dann hätte er vielleicht auch Vorschläge machen können, welche Bootstouren besser geeignet sind. Und wenn das alles nicht möglich gewesen wäre, dann wäre zumindest ein freundliches Bedauern drin gewesen. Aber nichts von dem kam.

Für den Kapitän waren es drei lapidare Sätze und das Aushalten unserer Blicke bis zur Abfahrt (letzteres hat ihn wirklich null interessiert). Für uns war erstmal der ganze Ausflug im Eimer. Ok – die Wibbings sind nunmal die Wibbings und machen das beste aus der Situation: Wir haben uns also zu Fuß auf den Weg gemacht und hatten tatsächlich noch eine schöne Zeit mit Adventure-Minigolf und einen Ausflug zum Erdbeerhof. Außerdem haben wir eine entsprechende Google-Bewertung abgegeben und haben uns telefonisch bei der Reederei beschwert. Die war auch nicht sonderlich einsichtig. Ein sehr offenes Ohr hingegen erhielten wir bei der zuständigen Beauftragten für Menschen mit Behinderung. Die hat Philipp auch mal direkt angerufen. Wir hatten sofort ihr vollstes Verständnis und sie wollte sich auch jeden Fall darum kümmern, weil sich die Region Inklusion auf die Fahnen geschrieben hätte und das würde ja mal gar nicht gehen. Es wäre spannend, ob dabei was herauskommt. Das haben wir leider nicht erfahren. Trotzdem fühlte es sich gut an, aktiv zu werden und es nicht einfach hinzunehmen.

Und noch am gleichen Tag erlebten wir, wie Inklusion gehen kann. Dieses Mal war der Hauptakteur ein 8jähriger Junge, den wir auf dem Erdbeerhof trafen. Er schaut Julian ganz fasziniert an und kurz danach ging der Fragenhagel los: Was er hätte? Ob er laufen könnte? Was mit seinen Augen ist und so weiter. Er war wirklich sehr interessiert. Besonders interessierte ihn, was er machen kann:
„Geht er zur Schule?“
„Ja, in die zweite Klasse.“
„Ah. Ich auch. Wie kann er denn schreiben?“
„Bisher noch nicht. Er übt aktuell lesen. Das geht mit bestimmten Karten“
„Ah. Das ist gut! Und rechnen?“
„Ja. Lernt er auch. Auch mit Karten“
„Kann er mit der Rutsche rutschen?“ [Es gibt dort eine Sackrutsche]
„Ja. Wir müssten ihn hochtragen und mit ihm zusammen rutschen. Aber dann würde es gehen. Er möchte allerdings nicht.“
„Aber es würde gehen, wenn er möchte?“
„Ja“
„Das ist gut. Und kann er auch mit der Traktorbahn fahren?“
„Ja. Das würde auch gehen. Wir könnten ihn reintragen und er kann mitfahren“

Und so ging das eine ganze Weile weiter. Es war so spannend zu sehen, wie wichtig ihm war, dass Julian alles machen könnte, was er auch macht. Da sie beide 8 sind, kann er sich natürlich sehr gut vorstellen, was Julian gut finden könnte. Inklusion kann so einfach sein. Einfach mal überlegen, was die Person möchte und dann überlegen, wie man das umsetzen könnte.

Auch in den nächsten Tagen haben wir wieder viele positive Erlebnisse gehabt: Menschen, die sofort Platz machten. Kellner, die Tische und Stühle an die Seite räumen, damit wir alle zusammen sitzen können. Kinder, die es völlig normal finden, dass Julian im Rollstuhl sitzt und vor allem seine coolen Glitzerräder bewundern.

Ja, Inklusion kann so einfach sein. Wenn wir alle mitmachen und immer wieder die Augen aufhalten, wenn es darum geht, Menschen zu integrieren. In unserem Fall einfach mal Platz schaffen. Und aus eigener Erfahrung ist fragen definitiv besser als weggucken. Wir können ja immer noch sagen, dass wir die Hilfe nicht benötigen.

Teilt den Beitrag gerne weiter, damit wir mehr Menschen erreichen.

„Wibbing – hallo – ich möchte zu Julian“

Ich weiß nicht, wie oft ich diesen Satz gesagt schon gesagt habe.

Julian lag zu Beginn seines Lebens fünf Monate auf einer Intensivstation – erst zwei Monate in Hamburg, dann drei Monate in Paderborn. Und auch etliche Male danach war er immer mal für ein paar Tage auf einer Intensivstation. Dadurch, dass er rund um die Uhr überwacht werden muss, gibt es nur die Möglichkeit der Intensivstation, wenn er ins Krankenhaus kommt.

Auf einer Intensivstation gibt es natürlich andere Vorschriften als bei Normalstationen. Dort kann man nicht einfach rein- und rausspazieren, wie es gerade passt. Ok – dank Corona geht das aktuell generell im Krankenhaus nicht. Dennoch hat eine Intensivstation eine Schleuse oder mindestens mal eine Klingel, über die man sich anmeldet.

Als ich neulich mal wieder vor der Tür der Kinder-Intensivstation im Paderborner Krankenhaus stand, fiel mir auf, wie oft ich schon diesen Satz gesagt habe: „Wibbing – hallo – ich möchte zu Julian“ und jedes Mal kommt: „Kommen Sie rein“ und dann surrt die Tür. Ehrlich gesagt, musste ich beim letzten Mal schon etwas lachen, weil es immer wieder das gleiche Procedere ist.

Und eigentlich geht es danach gleich weiter. In Paderborn hat Julian normalerweise das Zimmer direkt als erstes links. Dort kommen die großen Kinder hin. Die Frühchen liegen weiter hinten. Da waren wir zu Beginn unserer Intensivstation“karriere“. Wir können also tatsächlich schon von Aufstieg sprechen. 😉

Sobald eine Krankenschwester (oder -pfleger) dann in Julians Zimmer kommt, geht es gleich weiter: „Ach, wie schön, Sie mal wieder zu sehen. Wie geht es Ihnen denn? Julian ist aber groß geworden“. Manche Dinge ändern sich vermutlich nie oder nur sehr langsam. Klar würden wir uns wünschen, dass wir seltener im Krankenhaus sind, andererseits sind wir auch froh, dass wir eine Anlaufstelle haben, die uns und Julian so gut kennt, dass wir nicht von Beginn an berichten müssen. Das dauert lange… Seine Krankenakte und auch seine Diagnosenliste ist mittlerweile echt lang.

Ich habe auch herausgefunden, dass neue Diagnosen einfach mit aufgenommen werden. Gestrichen wird eine Diagnose nahezu nie – außer es war ein Verdacht und dieser hat sich nicht bestätigt. Julian wird als immer „Z.n. Frühgeburt 29+5“ bleiben, also ein Frühchen mit 10 Wochen zu frühem Start ins Leben. Vielleicht ist es auch gar nicht schlecht, sich immer mal wieder daran zu erinnern, wie viel Drama zu Beginn war und wie gut es insgesamt mittlerweile läuft. Das hätten wir uns damals nicht vorstellen können.

Zur Erinnerung: Als Julian zur Welt kam, stand die Diagnose der spinalen Muskelatrophie im Raum. Er sollte damals nur 2 Jahre alt werden. Und nun denken wir schon über seinen 8. Geburtstag im Oktober nach. Ein schönes Gefühl.

„Wibbing – hallo – ich möchte zu Julian“. Wir hoffen natürlich sehr, dass wir diesen Satz nicht mehr so oft sagen müssen und er einfach noch seltener auf einer Intensivstation ist. Und das wünsche ich jedem.

Der rasende Reporter Robin

Unsere Pflegedienstleitung Kathrin hatte ein spannendes Gespräch mit ihrem Sohn Robin (4 Jahre alt). Sie erklärte ihm, dass sie ihn am Freitagmorgen nicht in den Kindergarten bringen könnte, da sie arbeiten musste. 

Robin: „Wo musst du denn arbeiten?“
Kathrin: „Bei Julian in Paderborn.“

Robin: „Musst du da schlafen?“
Kathrin: „Nein, wenn du im Kindergarten bist, bin ich bei Julian. Du hast Julian auch schon kennengelernt, da warst du aber noch kleiner. Weißt du das noch?“
Robin schüttelt den Kopf. Kathrin zeigt ihm das aktuelle Bild von Julian auf Facebook. 

Robin: „Warum streckt Julian die Zunge raus? Ist Julian frech? Nur freche Kinder strecken die Zunge raus.“
Kathrin: „Julian ist nicht frech, er kann den Mund nicht zu machen.“
Robin: „Warum kann er den Mund nicht zu machen?“
Kathrin: „Das weiß man nicht genau.“

Robin: „Warum hält Julian das Auge so auf? Kann der nicht richtig gucken?“
Kathrin: „Doch, Julian kann gucken, er kann nur nicht so gut die Augen aufhalten. Aber da Julian ein schlauer Junge ist, hat er einen Trick gefunden, um sein Auge aufzuhalten. Er hält sein Auge mit seinem Finger fest und dann kann er alles sehen.“

Robin: „Ist Julian so schlau wie ich? Kann der auch schon zählen?“ 
Ich: „Bestimmt. Julian geht ja schon zur Schule und lernt Buchstaben und Zahlen. Er wird mir morgen bestimmt zeigen, was er schon alles kann.“

Robin: „Kann Julian auch sprechen? Und wie isst er, wenn der Mund immer auf ist?“
Kathrin: „Julian kann nicht sprechen und er isst durch einen Schlauch, der direkt in seinen Bauch geht.“

Robin hat ein Bild von Julian im Rollstuhl gesehen und dann gefragt, warum Julian im Rollstuhl sitzt: „Kann er nicht laufen?“
Kathrin: „Julians Muskeln sind nicht so stark. Deshalb fährt er den ganzen Tag mit dem Rollstuhl durch die Gegend. Das kann er auch ganz gut alleine.“

Kathrin hat Robin dann noch mehr Fotos auf Facebook gezeigt. Darunter war auch das Foto, auf dem Julian auf seiner Schaukel sitzt. 


Kathrin: „Guck mal, Robin, Julian hat eine Schaukel in seinem Zimmer!“
Robin: „Cool. Aber kann er überhaupt schaukeln, wenn er immer nur im Rollstuhl sitzt?“ Bevor Kathrin darauf antworten konnte, war das Gespräch schon vorbei.

–> Wenn ihr noch weitere Fragen habt, die unser Nachwuchsreporter stellen könnte, meldet euch gerne: julian@team-david.de

Julians 7. Geburtstag

Heute ist Julian 7 Jahre alt geworden! Er hatte einen aufregenden Tag – erst haben wir ihm natürlich gratuliert und ein erstes Geschenk ausgepackt. Von der schon traditionellen Happy-Birthday-Girlande im Wohnzimmer hing eine Luftschlange. Julian fand es super, sich um diese herum mit dem Rollstuhl im Kreis zu drehen. Dann hat er zur Geburtstagsmusik auch noch Klavier gespielt – mit vollem Elan.

Davon konnte er sich zwar kaum trennen, aber die Aussicht auf Schule zog. Wie immer kam der Bus, ihn pünktlich abholen. In der Schule drehte sich der Tag wohl auch viel um Julian. Die anderen Kinder haben für ihn gesungen und durften ihm dann jeweils mit einer eigenen Kerze einen guten Wunsch schenken. Das war wohl sehr schön. Die Liboriusschule und seine Lehrer sind eh sehr engagiert und Julian geht generell sehr gerne in die Schule.

Das war aber alles schon sehr aufregend für ihn. Entsprechend brauchte er vor dem ersten Geburtstags-Kaffeetrinken mit Oma und Opa und seiner Tante erst mal eine Pause. Er war dann auch noch mal dabei und hat einige Geschenke ausgepackt. Den Rest wird er wohl die kommenden Tage immer wieder mal auspacken. Ich denke, er hat sich sehr über die Geschenke bisher gefreut. Tatsächlich hat er wirklich viele Geschenke bekommen – von den Pflegefachkräften, die sich alle wieder sehr viele Gedanken gemacht haben.

Bei einem seiner neuen Tonies (er hat sich den Grüffelo ausgesucht) ist er eben zufrieden eingeschlafen.

Schon Wahnsinn – an solchen Tagen wie heute – an seinem Geburtstag – denkt man dann schon mal wieder über Julians Entwicklung nach. Der Arzt damals in Hamburg hat gesagt: Das mit dem zweiten Geburtstag wird nichts. Jetzt ist er sieben, will auf jedes Handy-Display gucken, liebt seinen Spielwürfel, spielt stundenlang Keyboard, fährt mit dem Rollstuhl rum, sucht sich manchmal tagelang immer denselben Tonie aus, geht in die Schule und will Buchstaben und Zahlen lernen, überraschte uns damit, plötzlich alle Farben zu kennen, kann sich verbal gar nicht äußern, aber allen seinen Willen klar machen, ist oft genug stur, zeigt viel Ausdauer und Ehrgeiz, wenn er etwas wirklich will und verfügt über eine starke Persönlichkeit. Irgendwie gewinnt er immer Menschen. Er hat so viele Menschen um sich, für die er was ganz besonderes ist. Das ist schon eine Wahnsinns-Entwicklung.
Er ist schon momentan manchmal ein Sturkopf und will mit dem Kopf durch die Wand, aber wenn er abends dann angefahren kommt, weil er noch mal auf den Arm möchte, sich Mühe gibt (mit Hilfe) aufzustehen und seinen Kopf an meine Schulter schmiegt, ist doch wieder alles vergessen. Natürlich ist mit ihm alles anders und dabei ist er ganz besonders.
Wir haben ihn sehr lieb.

Julians „Erwachen“

Das ist vielleicht eine etwas seltsam anmutende Überschrift – dennoch scheint genau das gerade Julians Gemütszustand zu beschreiben.

Julian ist nun 5,5 Jahre alt und er ist ja bereits sein Leben lang schwerstbehindert. Schnell ist man bei „Er kennt es ja nicht anders“. Dennoch haben wir aktuell das Gefühl, dass er so langsam versteht, dass er tatsächlich ziemlich anders als andere Kinder ist.

In den letzten Wochen war er oft sehr still und wusste nicht so richtig was mit sich anzufangen. Er fuhr mit dem Rolli etwas lustlos im Wohnzimmer herum und stand auch oft vor der Treppe nach oben. Er weiß ja, dass sein großer Bruder Bjarne sein Zimmer oben hat und wir jeden Tag viele Mal die Treppe rauf und runter laufen.

Gestern waren wir mit Bjarnes Basketballfreunden zum Essen verabredet. Julian war auch dabei. Ohne erkennbaren Grund fing er an zu spucken und dann rollten auch die Tränen. Das war richtig traurig.

Wir vermuten, dass ihm bei den vielen spielenden Kindern dort mal wieder klar geworden ist, dass er das nicht so kann und stattdessen im Rehabuggy sitzt. Wir vermuten das allerdings nur – Fragen können wir ihn ja nicht. (Der HSV hat ja gestern auch verloren und als echter Hamburger Jung kann einem das natürlich auch in Paderborn traurig stimmen. ;-))

Es würde aber tatsächlich viel dazu passen, da er aktuell oft nicht weiß, wohin mit sich. Und da wir vermuten, dass er geistig eine Menge mitbekommt und er auch einiges versteht, klingt das nur logisch.

Wir werden ihn durch diese Zeit nun auch begleiten. Seine „Aufpasser“ sind diesbezüglich ja zum Glück sehr sensibel. Wir werden ihn erstmal viel in dem stärken, was er gut kann. Das ist beispielsweise Klavier spielen. Julian spielt wirklich mit einer unglaublichen Ausdauer auf dem Keyboard. Gestern war es wieder eine ganze Stunde lang. Witzigerweise klingt das ganze auch recht harmonisch und im Rhythmus. Er trifft zwar keine einzelnen Tasten, dennoch spielt er in einem gewissen Rhythmus (ich habe gezählt – es waren mal 8 und mal 6 Schläge bevor eine Pause oder ein anderer Ton kam). Und da loben und bestärken wir ihn sehr drin.

Außerdem wird er ab dem Sommer in eine KITA kommen, in der er noch mehr besondere Kinder treffen wird. Wir denken, dass es ihm sehr gut tun wird, wenn er regelmäßig sieht, dass es auch andere Kinder wie ihn gibt. Und dadurch, dass er aufgrund des Rollis mobil ist, kann er ja sogar mehr als manche andere Kinder. Wir sind gespannt, wie er auf die neue Situation reagieren wird.

In jedem Fall steht aktuell wieder ein neuer spannender Entwicklungsschritt bevor – und das wiederum ist bei jedem anderen Kind auch so – damit also doch wieder nicht so besonders. 🙂

 

Leben mit Behinderung – Gedanken dazu

Ich starte hiermit einen neuen Text über das Leben mit Behinderung.  Ich mache mir – logischerweise – viele Gedanken dazu, wie ein Leben mit Behinderung aussieht. Ich erlebe es ja durch Julian jeden Tag. Und in meinem Beitrag hier geht es um die Sichtweise auf schwerst körperlich behinderte Intensivkinder.

Ich habe heute diesen Artikel entdeckt: https://ze.tt/praenataldiagnostik-warum-schwangere-sich-gegen-behinderte-kinder-entscheiden/

Am Ende steht „Menschen mit Behinderung wird es immer geben […]. Wir sollten die Debatte führen, wie ein gutes Leben möglich sein kann – für uns alle. Und dann politische Rahmenbedingungen dafür schaffen und mindestens die, die es bereits gibt, einhalten“. Im Grund ist damit alles gesagt. Jeder der nichts oder wenig mit behinderten Menschen zu tun hat, wird wahrscheinlich sagen. „Stimmt – klingt gut. Sollten wir machen.“

Aber was genau heißt das eigentlich konkret? Was heißt „ein gutes Leben – für uns alle“?

Als erstes denkt man vermutlich erstmal an das „arme“ behinderte Kind. Das benötigt die größtmögliche Unterstützung. Das stimmt auch so. Julian war von Beginn an noch hilfloser als ein Baby ohnehin schon ist. Er war noch nicht mal in der Lage selber zu atmen und zu schlucken. Er konnte sich nicht durch schreien bemerkbar machen, dass er ein Problem hatte. Somit war auf noch mehr Hilfe angewiesen als ein Baby. Diese Hilfe bekam er auf den Intensivstationen in Hamburg und Paderborn. Und natürlich auch von uns Eltern. Seit Julian zu Hause ist, benötigt er rund um die Uhr Hilfe von Pflegefachkräften. Mittlerweile hat er zwar gelernt sich mit Klopf- und sonstigen Bewegungen auf sich aufmerksam zu machen, im Rolli kann er sich selbstständig fortbewegen und auch die Atmung ist mittlerweile meistens selbstständig möglich. Trotzdem benötigt er weiterhin viel Hilfe. Wenn er zu viel Sekret in der Lunge/ Kanüle entwickelt, muss er abgesaugt werden. Wenn er sein Essen ausspuckt, muss er abgesagt werden, damit er nicht daran erstickt. Er kann nach wie vor nicht schlucken, so dass er sein Essen und Trinken sondiert bekommt. Ohne Hilfe würde er vermutlich keinen ganzen Tag überleben. Und diese Hilfe ist permanent erforderlich. Der Notfall (Sekret oder Nahrung setzt die Kanüle zu) kann schließlich in jeder Sekunde passieren – Tag und Nacht.

Es ist also unumstritten, dass Julian Hilfe benötigt, um überhaupt leben zu können.

Nun steht im Artikel ja „gutes Leben“. Darüber lässt sich natürlich vortrefflich streiten. Aber Julian möchte wie jeder 5jährige auch die Welt entdecken. Er möchte ganz sicher nicht, den ganzen Tag in einem Krankenhauszimmer verbringen und an die Decke starren. Damit würde er zwar überleben, aber schön bzw. gut wäre das ganz sicher nicht. Also versuchen wir alles zu ermöglichen, damit Julian ein vergleichsweise normalen Alltag hat – mit Spielen, Musik, Bewegung, Lernen, Ausflüge und allem, was dazu gehört. Nun haben alle diese Aspekte gemeinsam, das sie zunächst Aufwand bedeuten:

  • Beim Spielen ist es nun mal nicht so einfach Spiele zu finden, bei dem er mit seinen eingeschränkten Möglichkeiten auch Freude hat. Er kann keine Bauklötze stapeln und schon gar nicht Lego zusammensetzen. Also findet man Magnetspielzeuge, bei dem er mit geringem Aufwand auch etwas „bauen“ kann.
  • Bei der Musik kann er sich weder eine Figur auf die Toniebox stellen noch kann er sich den iPod selber starten. Er ist darauf angewiesen, dass ihm jemand die Musik oder das Hörspiel anmacht. Verbunden mit der Herausforderung, dass er nicht sagen kann, welches Hörspiel er jetzt gerne hören möchte. Also bleibt es ein Rätselraten.
  • Bei der Bewegung kann er nicht einfach vom Boden aufstehen und loslaufen. Er macht sich bemerkbar und robbt zur Tür – in der Hoffnung, dass ihn jemand versteht und ihn in den Rolli setzt. Das wiederum birgt die Herausforderung, dass er nicht seinen Bruder im 1. Stock besuchen kann, weil die Treppe ein unüberwindliches Hindernis ist. Selbst der Garten ist eine Hürde, da wir ihm eine kleine Rampe bauen müssen, um über die Schwelle zu kommen. Aktuell übt er so über die Schwelle zu kommen. Das wird sicherlich eines Tages klappen, aber es wird dauern und viel Üben mit sich ziehen.
  • Beim Ausflug kann er nicht einfach ins Auto steigen und sich selber anschnallen. Er ist zum einen darauf angewiesen, dass ihn jemand ins Auto setzt und zum anderen müssen wir dafür sorgen, dass alles, was er benötigt mit an Board ist. Nimmt man bei einem gesunden 5jährigen maximal noch eine Sitzerhöhung und vielleicht noch eine Flasche Wasser mit, benötigt Julian neben dem speziellen Kindersitz auch Absauggeräte, Absaugkatheter, Notfallset mit neuen Kanülen, Spreizer und Ambubeutel – zusätzlich Windeln, Wechselsachen, Spritzen für Getränke, speziell püriertes Essen, usw.
  • Bei der Diskussion, wo es überhaupt hingeht, hat er kaum mitgemacht. Er kann uns vielleicht noch mitteilen, dass er irgendwas gut oder nicht gut findet. Aber wenn es ihm an einer Stelle im Wald zum Beispiel besonders gut gefallen hat, hat er keine Chance, uns das mitzuteilen. Ich möchte nicht wissen, wie oft er in seiner kleinen Welt gefangen ist und gefrustet ist, weil er sich nicht mitteilen kann.

Diese Liste könnte ich unendlich fortsetzen. Und dabei haben wir noch gar nicht über die ganzen Termine (Therapien, Kinderarzt, Fachärzte, Krankenhausaufenthalte, SPZ und weißGottwasnochalles), die Herausforderungen bei den Hilfsmitteln (Rolli, Rehabuggy, Therapiestuhl, Badeliege, Stehtrainer, usw…), den Aufwand mit der Wäsche und dem Essen für Julian, die Herausforderungen eines möglichen KITA-Besuchs (Genehmigung, Fahrdienst, Anpassung der Dienstzeiten des Pflegedienstes an die KITA, usw.). gesprochen. Wie gesagt, die Liste kann unendlich fortgesetzt werden.

Wir haben also festgestellt, dass Julian Hilfe benötigt, um gut leben zu können. Jetzt erweitern wir mal den Blickwinkel zum Personenkreis. Wir benötigen also zunächst in unserem Fall einen spezialisierten Pflegedienst mit gut ausgebildeten Pflegefachkräften, die sich darum kümmern, dass Julian im Idealfall erst gar nicht in eine lebensbedrohliche Situation kommt.

Und damit sind wir beim Punkt „politische Rahmenbedingungen dafür schaffen und mindestens die, die es bereits gibt, einhalten“. Um das mal etwas konkreter zu fassen, würde ich für die Rahmenbedingungen mal ins Gesetz schauen. Da steht ja eine Menge schlaues Zeug drin. Also § 37 SGB V ist da auch sehr eindeutig: „Versicherte erhalten in ihrem Haushalt, ihrer Familie oder sonst an einem geeigneten Ort, […]  neben der ärztlichen Behandlung häusliche Krankenpflege durch geeignete Pflegekräfte, wenn Krankenhausbehandlung geboten, aber nicht ausführbar ist, oder wenn sie durch die häusliche Krankenpflege vermieden oder verkürzt wird.“

Im Grunde steht da drin, dass Julian nicht im Krankenhaus sondern zu Hause bei seiner Familie mit der Unterstützung von Pflegefachkräften leben soll. Irgendwie auch logisch.

Um Julian rund um die Uhr betreuen zu können, benötigt man rechnerisch 5,5 Pflegekräfte…. Und wie wir alle wissen, ist der Pflegemarkt leer gefegt und um die paar Pflegekräfte, die gerade keinen Job haben, rangeln sich Krankenhäuser, Altenheime, ambulante Dienste und noch eine Menge mehr Institutionen. Aktuell ist es wirklich, wirklich schwierig. Das funktioniert aktuell also schon mal nicht und ich denke, es ist nicht sehr anmassend von uns, von der Politik zu fordern, dass mehr Pflegekräfte benötigt werden, um den Julians in Deutschland überhaupt das Leben zu ermöglichen. Um die weitere Planung der Pflegefachkräfte kümmern wir uns dann gerne in unserem Pflegedienst.

Nun steht oben im Artikel ein klitzekleiner Zusatz „für uns alle“. Wie sieht ein gutes Leben für uns alle aus? „Alle“ heißt in diesem konkreten Fall die direkte Familie – also Julians Papa (mein Mann), Julians großer Bruder Bjarne (mein Sohn) und für mich selber. Oben gibt es ja schon eine lange Liste, wie ein gutes Leben für Julian aussehen kann. Also stellen sich folgende Fragen:

  • Wer macht sich auf die Suche nach einem passenden Spielzeug?
  • Wer macht die Wäsche? (und ja, es ist wesentlich mehr als ein normales Kind – wir haben ja den direkten Vergleich)
  • Wer kocht das Essen? (ok – wir haben uns gegen Sondenkost entschieden. Daher vielleicht etwas selbstgewählt. Aber mal ehrlich – hast du schonmal an Sondenkost gerochen??? Puh!!!)
  • Wer kümmert sich um die Vielzahl der Termine?
  • Wer lässt alles stehen und liegen, weil Julian kurzfristig ins Krankenhaus muss oder der Pflegedienst ausfällt?
  • Wer sucht immer wieder nach Möglichkeiten die beiden Kinder zusammen zu bringen und Spiele zu finden, die möglichst beiden Spaß machen, damit sie auch einfach Geschwister sein können.
  • Wer fährt zu Therapien / organisiert Therapien, Hilfsmittel, Fahrtmöglichkeiten usw.
  • ….. (Liste lässt sich beliebig fortsetzen)

Das alles ist einfach eine unglaubliche Masse, die auf uns als Eltern hängen bleibt. Wir sind in der glücklichen Lage einen Teil der Tätigkeiten auszulagern (dank Haushaltshilfen und unseren Familien wiederum). Aber auch dann bleibt noch so viel mehr übrig, was bei einem gesund entwickelten Kind einfach nicht anfällt. Und wie gesagt, wir haben den Vergleich! Natürlich hat Bjarne auch seine Herausforderungen, benötigt Unterstützung in der Schule und hat seine Sportarten, zu denen er gefahren wird usw. Selbst wenn man das alles abzieht, bleibt unendlich viel an Dingen zu entscheiden/ machen/ organisieren. Im Grunde ist das ein Vollzeitjob. Und wir sind froh, dass mein Mann einen Arbeitgeber hat, der das mit trägt, und ich komplett in die Selbstständigkeit gegangen bin, so dass ich eh flexibel reagieren kann. Damit können wir alles möglich abfangen.

Aber genau da liegt das Problem „Gutes Leben für Alle“. Ich hatte nie geplant, Geschäftsführerin eines Pflegedienstes zu werden, mit Ärzten zu diskutieren, dass mein Kind möglicherweise nur 2 Jahre alt wird oder Bjarne zu erklären, dass er niemals mit seinem Bruder Lego spielen wird. Und der ursprüngliche Plan war 2014 mit beiden Kindern nach Neuseeland zu fliegen – das weiteste, was wir geschafft haben, war Dänemark…  Natürlich ist das Leben eh nicht planbar. Jedoch wäre es wesentlich leichter, wenn mal mindestens die politische Rahmenbedingungen eingehalten werden würden.

Und jetzt haben wir noch wirklich günstige Bedingungen. Wir persönlich haben finanziell und organisatorisch die Möglichkeiten, uns die nötigen Freiräume zu schaffen und dafür sind wir unendlich dankbar.

Doch auch wir kommen mehr als ein Mal pro Woche an unsere Grenzen. Sei es bei uns zu Hause oder sei es im Pflegedienst. Es möchte sich niemand ausmalen, was es bedeutet bei einer Familie, die in der gleichen Situation ist, anzurufen und mitzuteilen, dass sie zukünftig keine Unterstützung mehr von uns erhalten, weil wir nicht mehr genügend Pflegefachkräfte haben. Die Eltern werden damit ab sofort auch dafür verantwortlich sein, dass ihr Kind überhaupt den Tag überlebt…

Ehrlich. Das zerbricht einem das Herz!

Jetzt kann man natürlich noch die ethische Diskussion führen. Ich möchte nochmal zurück auf den Artikel von oben. „Warum Schwangere sich gegen behinderte Kinder entscheiden“ heißt es so schön reißerisch im Titel. Viele würden vermutlich sagen, dass es doch Mord ist, wenn ich ein behindertes Kind abtreibe (sehe ich persönlich übrigens auch so). Doch, was ist die Konsequenz?? Die allermeisten Familien stehen mit den Problemen, die der Alltag mit einem behinderten Kind, mit sich bringt, schlichtweg alleine dar. Am Ende geht die Krankenhaustür auf und man nimmt sein behindertes Kind mit nach Hause und ab da ist es das Problem der Eltern, was man daraus macht.

Ich muss aus meiner Erfahrung ganz ehrlich sagen. Ich kann verstehen, dass man sich gegen ein behindertes Kind entscheidet. Wenn mir vor 6 Jahren jemand die Zukunft gezeigt hätte, ich bin mir nicht sicher, wie ich bzw. wir entschieden hätten.

Ja – Julian ist wirklich süß und er kann einen sehr um den Finger wickeln und auch das Herz geht dir auf, wenn er dich mit einem Auge anschaut und du das Gefühl hast, er guckt direkt in deine Seele und natürlich platzen wir vor Stolz, wenn er etwas geschafft hat, was niemand je für möglich gehalten hat.

Doch leider, leider überwiegen die Anstrengung und die Herausforderungen.

Somit sind wir wieder beim Artikel. Familien mit behinderten Kindern brauchen viel, viel, viel mehr Unterstützung, wenn die Entscheidung FÜR das Kind gefällt wurde. Und da reichen auch keine allgemeinen Gesetze. Es ist bei jeder Familie eine Einzelfallentscheidung, was genau in diesem Fall möglich und sinnvoll ist. Und da reicht es nicht, nur auf das behinderte Kind zu schauen. Die ganze Familie muss als System betrachtet werden, um zu schauen, was auch die Eltern, Geschwisterkinder aber auch die Großeltern, Onkel, Tanten, usw. benötigen.

Und dann erst fangen wir an, darüber zu sprechen, was echte Inklusion bedeutet und welche Aufgabe die Gesellschaft hat. Es ist noch ein echter langer Weg und wir versuchen unser möglichstes dabei mitzuwirken, um endlich in einer Gesellschaft anzukommen, in der wir gerne leben.

 

 

Julian ist schon 5!

Nach Julians verrückten Start ins Leben und den Prognosen der Ärzte zufolge, fühlt es sich jetzt wirklich danach an: „Julian ist schon 5 Jahre alt!“. Was für eine lange Zeit und es ist erstaunlich, was wir in dieser Zeit alles auf die Beine gestellt haben. Oftmals bleibt man ja im Alltagstrubel stecken und da ist es gut, wenn wir deutliche Marker haben, an denen wir zurückblicken.

Wir sind wirklich sehr dankbar darüber, dass es Julian allen Unken- und vor allem Ärztenrufen zum Trotz so gut geht und er sich so phantastisch entwickelt hat. Das größte Highlight ist nach wie vor sein Rolli, mit dem er jeden Tag fleißig übt und sich ständig verbessert. Teilweise wird er schon richtig schnell und dreht sich (bewusst) im Kreis. Sein liebstes Hobby ist nach wie vor die Musik: Spielewürfel, Spielpad oder Keyboard – alles wird bearbeitet – gerne auch mal gleichzeitig. Ohrstöpsel bei den Aufpassern sind manchmal erforderlich. Und im Umfeld ist es natürlich nach wie vor der Aufbau von Team DAVID. Ohne Julian würde es unseren Pflegedienst nicht geben und wir würden nicht weitere 7 kranke Kinder zu Hause betreuen. Das ist schon ziemlich großartig, was daraus entstanden ist. Es ist gut, dass wir vorher nicht wussten, was für eine große Herausforderung ein solcher Pflegedienst ist und gegen wie viele Windmühlen wir immer wieder kämpfen müssen. Dennoch bereuen wir es nicht, dass wir diesen Weg gegangen sind.

Julians 5. Geburtstag haben wir sehr gemütlich gefeiert. Vormittags waren Oma und Opa da und wir haben gefrühstückt. Am Nachmittag war seine Holly da. Das war zu süß. Die beiden haben sich die ganze Zeit angeschaut. Holly hatte ihm einen Ball ausgesucht, der Musik macht, wenn er sich bewegt. Wirklich sehr passend. Außerdem war seine Cousine mit den Eltern und noch Julians großer Freund Jörg, mit dem wir ab und an laufen gehen. Im letzten Jahr hatten wir noch mehr Kinder eingeladen. Das war Julian aber im Grunde viel zu viel. Dieses Jahr war es optimal. Die Kinder haben auch alle mit bei Julian auf der Decke gesessen und mit seinen neuen Musikspielzeugen gespielt. Offensichtlich wird man dafür nicht so schnell zu alt bzw. kann man ruhig nochmal bei einem so besonderen Geburtstagsprinzen machen. Der Prinz selber war auch sehr zufrieden.

Abends haben wir in etwas kleinerer Runde noch Abendbrot gegessen. Julian war mit seinem Rolli da. Nach einiger Zeit rollte er los und rollte aus dem Wohnzimmer raus. Wir haben ihn also ins Bett gebracht und kurze Zeit später war er eingeschlafen. Er hat sehr deutlich gezeigt, dass es gereicht hat und er schlafen wollte. Das war echt niedlich. Am nächsten Tag ging es noch zu den anderen Oma und Opa. Und Anfang November kommt noch die Patentante für ein nachträgliches Geburtstagsfrühstück. Es ist wirklich gut, das alles ein bisschen auseinander zu ziehen, dann hat er definitiv mehr davon.

Wir haben an dem Tag auch wieder festgestellt, dass Julian den allerbesten großen Bruder hat. Bjarne hatte vorher schon von seinem Taschengeld ein Geschenk gekauft. Beim Einpacken hat er dann überlegt, wie er das macht, weil normalerweise ja Gummibärchen außen an das Geschenk. Nur Julian kann ja keine Gummibären essen – also hat Bjarne kurzerhand einen Äpfel von seinem eigenen Apfelbaum besorgt und den außen auf das Geschenk geklebt. Beim Kerzenauspusten standen wir vor einer ähnlichen Herausforderung, da Julian ja auch nicht pusten kann. Bjarne hatte aber auch hier bereits vorgesorgt. Er hat einen kleinen Ventilator besorgt, so dass Julian die Kerzen mit Hilfe auf seine Art auspusten konnte. Das war so niedlich und großartig.

Zu Besuch beim ambulanten DKHV

Gestern war ich beim ambulanten Kinder- und Jugendhospizdienst eingeladen. Dieser Verein kümmert sich um Familien mit Kindern, die lebensverkürzend erkrankt sind. Wir gehören als Familie ebenfalls dazu. Der Verein bietet zum einen verschiedene Veranstaltungen für die Familien, die erkrankten Kinder und vor allem auch die gesunden Geschwisterkinder an. Zum anderen engagieren sich eine Menge Ehrenamtliche; sie fahren zu den Familien nach Hause und spielen z.B. mit den kranken und/ oder gesunden Kindern, um die Familien zu entlasten. Das ist wirklich eine tolle Arbeit.

Die Ehrenamtlichen werden in einem sehr liebevoll gemachten Kurs auf die Arbeit in den Familien vorbereitet. Gestern ging es dann darum, einen Einblick in den Alltag der betroffenen Familien zu bekommen. Dafür sind eine weitere Mutter und ich dort gewesen. Insgesamt um die 10 Ehrenamtliche haben gespannt unseren Geschichten gelauscht. Es ist immer wieder seltsam, so im Nachhinein zu erzählen, was in den letzten Jahren so passiert ist. Und vor allem ist es eine Herausforderung, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Gar nicht so einfach nach so einer langen Zeit mit so so vielen kleinen und großen Geschichten, die wir durch Julian schon erlebt haben.

Gestartet sind wir mit der Geschichte von Emily Pearl Kingsley, die sehr treffend formuliert, wie es ist ein behindertes Kind groß zu ziehen: Willkommen in Holland.

Die andere Mutter und ich waren uns aber schnell einig, dass wir eher die Karibik gebucht hatten und in Alaska gelandet waren. Einfach weil die Abweichung unserer Wünsche und Pläne vor der Geburt so gravierend abweichend von dem war, was uns mit der Geburt unserer Kinder erwartete. Dennoch ist die Analogie wirklich sehr treffend. Und die Kunst ist es, mit der Umgebung in Alaska klar zu kommen.

Zum Einstieg in meinen Vortrag habe ich meinen Blick auf Normalität vorgelesen: Normalität – was ist das?. Nach wie vor sehr aktuell. 😉 Und anschließend den Start von Julian ins Leben: Tag 1212, die erste turbulente Zeit zu Hause und schließlich die Gründung von Team DAVID. Dabei ist mir wieder aufgefallen, dass ich mal wieder häufiger im Blog schreiben sollte. Es gibt so unendlich viele Geschichten, die doch leicht in Vergessenheit geraten – einfach, weil es so viele gibt. Mittlerweile sind die Geschichten zum Glück weniger dramatisch – aber deshalb nicht minder erinnerungswürdig. Ich gelobe also Besserung.

Interessant war besonders, wie unterschiedlich die Geschichte der anderen Mutter und unsere ist und auch was wir damit gemacht haben. Und dennoch sind wir uns in vielen Dingen immer wieder einig. Zum Beispiel, dass die Bürokratie in Deutschland immer wieder sehr zermürbend sein kann, dass es oft langwierig ist, wenn es um Genehmigungen für die unterschiedlichsten Dinge geht, dass die Familien mit diesem ganzen Chaos doch oft alleine gelassen werden, dass die Erkrankung des Kindes fast das geringste Problem ist und dass es echt ein Mammutaufgabe ist alles unter einen Hut zu bekommen – die Herausforderungen des „normalen“ Alltags haben wir schließlich ebenso.

Besonders herausfordernd ist, dass wir nicht „weg können“. Wir sind in Alaska gefangen und haben keine Chance dem zu entkommen. Wir können Decken und Öfen besorgen und ein warmes Haus in Alaska bauen – also Hilfe von außen holen. Wir können sicherlich auch mal Besuche in andere Länder unternehmen und schauen wie es woanders ist – also kleine Auszeiten nehmen –, aber letztendlich sind und bleiben wir in Alaska „gefangen“. Und stellen dann immer wieder fest, wie schön es in Alaska auch sein kann. Und dass wir mit den starken Höhen und Tiefen sehr umfassend das Leben erfahren – diese Erfahrung bleibt manch anderem verwehrt.

Einig waren wir uns vor allem, dass wir für nichts in der Welt unsere Kinder hergeben würden und immer für sie kämpfen – egal, was kommt.

Die Ehrenamtlichen waren sehr interessiert und wir sind in einen schönen Dialog gekommen. Ich denke, sie haben ein ganz gutes Bild bekommen. Schön, dass es diesen Verein und diese Möglichkeit gibt. Wer Interesse daran hat, kann sich gerne bei uns oder natürlich direkt im Verein melden. 

Zu oft im Krankenhaus?

Woran man erkennt, dass man zu oft im Krankenhaus ist:

– Ich suche auf dem Parkplatz mein Auto, weil ich zum 3. Mal in 24 Stunden dort stehe und jedes Mal an einer anderen Stelle.

– Wir werden vom sämtlichen Personal – egal, ob Pförtner, Reinigungskraft, Ernährungsberaterin, Verwaltungsmitarbeiter, Pflegekräften oder Ärzten gegrüßt, weil sie uns entweder kennen oder wir mit einer solchen Zielstrebigkeit durch die Gänge laufe, dass sie sofort erkennen, dass ich entweder zum Personal gehören muss oder aber häufiger hier bin.

– Beim Chefarzt muss sich niemand vorstellen, weil wir uns alle gegenseitig kennen.

– Ich winke der Physiotherapeutin fröhlich zu, als ich sie am Ende des Flures entdecke.

– Wir nennen dem Krankenhaus die Uhrzeit, wann wir unser Kind wieder mitnehmen – nicht umgekehrt.

– Ich diskutiere mit der Ärztin die möglichen Antibiotika und wir entscheiden gemeinsam, welches wir nehmen.

– Mein Mann verneint im Gespräch mit Ärzten regelmäßig die Frage, ob er beruflich etwas Medizinisches macht.

– Ich diskutiere die Beatmungsparameter des Beatmungsgerätes mit meinem Mann – nicht mit der Ärztin. (Sie bestätigt dann aber schon noch, dass es passt. ;-))

– Den Weg zur Intensivstation kennen wir im Schlaf.

– In meinem Handy sind neben den Nummern von diversen Ärzten, Therapeuten auch die Nummern von 4 Intensivstationen in Deutschland zu finden.

– Im Einkaufszentrum sehe ich einen Mann im weißen Kittel und frage mich prompt, welcher Arzt das ist – um dann festzustellen, dass es der Hausmeister vom Einkaufscenter ist.

🤣🤣🤣🤣

Ein Wunsch für Julian

Julian besitzt ein Buch: „Ein Wunsch für Rudi“, das wir ihm gestern vorgelesen haben. In dem Buch kommt eine Fee zu Rudi und sagt ihm, dass er einen Wunsch frei hat. Natürlich gibt es Beschwerden, dass es nur ein Wunsch und nicht drei sind – wie sonst üblich. Rudi fällt am Ende kein richtiger Wunsch ein – er findet alles gut, so wie es ist.

Bei Julian fallen uns natürlich schon ein paar Wünsche ein. Allerdings könnte ich mich tatsächlich nicht entscheiden, wenn wir uns tatsächlich eins seiner Schlamassel-Dinge wegwünschen dürften. Am einfachsten wäre es natürlich, sich einfach zu wünschen, er wäre wieder gesund. 😉 Doch was wäre es, wenn wir tatsächlich nur eins seiner Herausforderung ändern könnten?

  • Als erstes hatte ich gedacht, dass es doch schön wäre, wenn er laufen könnte. Er könnte selbstständig entscheiden, wo er hinlaufen mag. Das würde ihm, denken wir, sehr gut gefallen. Die Selbstständigkeit ist etwas, was er aktuell am meisten einfordert.
  • Allerdings bestünde dann ja noch das Problem mit den Augen. Dadurch, dass er die Augenlider selber nur unter sehr großer Anstrengung anheben kann, sieht er ohne Hilfsmittel nahezu nichts. Daher zieht er sich das Auge am Therapiestuhl oder andere Gegenständen auf bzw. wir tapen die Augen, so dass sie offen bleiben. Das führt nur leider dazu, dass die Augen sich schneller entzünden und rot werden. Somit können wir das nur ein paar Stunden pro Tag machen. Also wünschen wir uns doch lieber, dass er seine Augen normal benutzen kann.
  • Oder doch lieber, dass er seine Arme normal bewegen kann? Zu Beginn konnte Julian seine Arme gar nicht bewegen. Sie lagen steif einfach neben ihm und er konnte maximal die Finger ein bisschen bewegen. Das ist immer besser geworden, so dass er nun die Arme anwinkeln kann, in günstigen Momenten seinen Mund erreicht und er im Therapiestuhl auch in Julianmanier seine Spielringe bewegt, aufhebt und wegwirft bzw. seine Keyboard behämmert. Anders kann man es nicht nennen – ein durchgeknallter Virtuose ist nichts dagegen :-). Mit Hilfe der funktionierenden Arme und Hände würde er vermutlich sehr schnell lernen, einen E-Rolli zu bewegen und einen Sprachcomputer zu nutzen. Das würde seiner erwünschten Selbstständigkeit sehr entgegen kommen. Blöd nur, dass er dann das Sehproblem nicht gelöst hat…
  • Eine weitere Idee wäre, dass er sprechen könnte. Durch das Tracheostoma ist das grds. erstmal nicht möglich, da die Atemluft nicht an den Stimmbändern vorbeikommt. Durch das Sprechventil wird aber genau das erreicht und er kann dann lautieren. Mehr als Schimpfen, Weinen und undefinierbare Laute konnten wir ihm bisher allerdings nicht entlocken. Und es wäre ja wirklich schön, wenn er sich uns mitteilen könnte. Ich glaube allerdings, dass das Sprechen etwas ist, was er doch irgendwann noch lernt, somit würde ich das von der Wunschpriorität her etwas nach hinten verschieben.
  • Das, was mir witzigerweise als letztes eingefallen ist, ist das Schlucken. 😉 Das war früher mal ganz oben auf meiner Wunschliste. Mittlerweile hat man sich so sehr daran gewöhnt, dass er über die PEG ernährt wird, dass man das gar nicht mehr so richtig im Fokus hat. Dennoch wäre es natürlich richtig, richtig toll, wenn er zum einen selber essen könnte und zum anderen auch nicht ständig abgesaugt werden müsste. Das würde ja definitiv auch ein paar Herausforderungen lösen: jegliches Essen am Tag pürieren, unterwegs an alle Spritzen, Adapter und Nahrungsmittel denken, einen genauen Ernährungsplan einhalten usw. Abgesehen davon, dass durch eine PEG-Ernährung auch langfristig Probleme im Verdauungstrakt entstehen können. Es wäre also durchaus auch ein guter Wunsch.

Tja. Und da hätten wir das Dilemma. Ich kann mich kaum entscheiden. Was würdest du ihm wünschen?