Begegnung mit Menschen und ein Lob von Google

Kathrin hatte über unsere Inklusions-Erfahrungen im Urlaub berichtet: Inklusion? – Inklusion! | Leben mit einem besonderen Kind (wordpress.com):
Aber wie läuft generell Begegnung mit Menschen als Familie mit einem behinderten Kind?

  1. Negativ-Erfahrungen sind selten
    Uns fällt wirklich auf, dass Julian und uns ganz oft sehr positiv begegnet wird. Julian ist ein recht neugieriger kleiner Entdecker: Wenn wir in einem Café sind, liebt er es schon mal rumzufahren und andere Leute anzusehen. Die meisten reagieren total offen, sprechen ihn eher an und halten uns auf, wenn wir Julian mal wieder einfangen (auch andere Kinder würde man ja nicht an „fremden Tischen“ die Privatsphäre zu stark stören lassen). Was immer hilft: Anderen offen begegnen und vom Guten ausgehen.

  2. Normen geben Sicherheit – fehlen sie, hilft kommunizieren
    Natürlich ist der Umgang mit behinderten Menschen immer von einer gewissen Unsicherheit geprägt. Viele Normen, die mir sonst im Umgang mit anderen Menschen Sicherheit geben, werden vielleicht von meinem behinderten Gegenüber nicht erfüllt. Ein Beispiel ist ein Mensch mit Down-Syndrom, der mich als Fremden direkt umarmt. Das ist nicht das Verhalten, was ich gesellschaftlich gewohnt bin. Vielleicht will ich das nicht… Vielleicht bin ich mit der Situation überfordert…
    Auch das „Schau da nicht so hin“ von Eltern an ihre interessierten Kinder ist letztlich eigene Unsicherheit und vermeintliche Rücksichtnahme.
    Rational ist diese Unsicherheit unbegründet, aber wir machen gute Erfahrungen damit, aktiv mit dieser Unsicherheit umzugehen.
    Beispielsweise erklären wir fremden Menschen Julians Kommunikation ohne nur über Julian zu sprechen. Sofort ist die Unsicherheit viel geringer und viele Menschen, denen wir begegnen lassen sich auf Kommunikation mit Julian ein. Wir lassen aber auch gerne los, wenn wir keine Brücke bauen müssen. Das kommt nicht selten vor. Julian hat auch Recht auf seine eigenen Begegnungen, Kontakte und Erfahrungen.
    Wir haben es da aber auch einfach. Julian hat irgendwie eine besondere Art, dass Menschen ihn schnell in Herz schließen.

  3. Wir bleiben nicht alleine am Kai zurück …
    Wenn wir so negative Erfahrungen wie mit dem Kapitän des Ostsee-Schiffes (Blogeintrag siehe oben) machen, können wir das nicht akzeptieren. Was wir direkt auf dem Weg vom Kai gemacht?
    – Bei der Reederei beschwert
    – Zwei Behinderten-Beauftragte angerufen
    – Die o.a. Google-Bewertung geschrieben
    Wir sagen damit aus: Dieses Verhalten ist nicht in Ordnung für uns. Das sagen wir uns. Das sagen wir unseren Kindern. Und das sagen wir Weiteren. Und ganz viele sagen uns dann: Stimmt, das ist nicht in Ordnung – so wollen wir auch nicht zusammen leben! Zuletzt die Bürgermeisterin der anliegenden Gemeinde, die Kathrin aufgrund des Artikels geschrieben hat. Naja, und nun wollten 500 Leute diese Google Rezession lesen: https://goo.gl/maps/v5ZHrafyswNC4HXH8 .
    Das ist eine wichtige Erfahrung: Wir standen alleine am Kai als das Schiff weg fuhr. Aber wir sind nicht alleine mit dem Standpunkt, dass das nicht in Ordnung war. Das macht es viel einfacher!

Danke allen dafür!

Julians 7. Geburtstag

Heute ist Julian 7 Jahre alt geworden! Er hatte einen aufregenden Tag – erst haben wir ihm natürlich gratuliert und ein erstes Geschenk ausgepackt. Von der schon traditionellen Happy-Birthday-Girlande im Wohnzimmer hing eine Luftschlange. Julian fand es super, sich um diese herum mit dem Rollstuhl im Kreis zu drehen. Dann hat er zur Geburtstagsmusik auch noch Klavier gespielt – mit vollem Elan.

Davon konnte er sich zwar kaum trennen, aber die Aussicht auf Schule zog. Wie immer kam der Bus, ihn pünktlich abholen. In der Schule drehte sich der Tag wohl auch viel um Julian. Die anderen Kinder haben für ihn gesungen und durften ihm dann jeweils mit einer eigenen Kerze einen guten Wunsch schenken. Das war wohl sehr schön. Die Liboriusschule und seine Lehrer sind eh sehr engagiert und Julian geht generell sehr gerne in die Schule.

Das war aber alles schon sehr aufregend für ihn. Entsprechend brauchte er vor dem ersten Geburtstags-Kaffeetrinken mit Oma und Opa und seiner Tante erst mal eine Pause. Er war dann auch noch mal dabei und hat einige Geschenke ausgepackt. Den Rest wird er wohl die kommenden Tage immer wieder mal auspacken. Ich denke, er hat sich sehr über die Geschenke bisher gefreut. Tatsächlich hat er wirklich viele Geschenke bekommen – von den Pflegefachkräften, die sich alle wieder sehr viele Gedanken gemacht haben.

Bei einem seiner neuen Tonies (er hat sich den Grüffelo ausgesucht) ist er eben zufrieden eingeschlafen.

Schon Wahnsinn – an solchen Tagen wie heute – an seinem Geburtstag – denkt man dann schon mal wieder über Julians Entwicklung nach. Der Arzt damals in Hamburg hat gesagt: Das mit dem zweiten Geburtstag wird nichts. Jetzt ist er sieben, will auf jedes Handy-Display gucken, liebt seinen Spielwürfel, spielt stundenlang Keyboard, fährt mit dem Rollstuhl rum, sucht sich manchmal tagelang immer denselben Tonie aus, geht in die Schule und will Buchstaben und Zahlen lernen, überraschte uns damit, plötzlich alle Farben zu kennen, kann sich verbal gar nicht äußern, aber allen seinen Willen klar machen, ist oft genug stur, zeigt viel Ausdauer und Ehrgeiz, wenn er etwas wirklich will und verfügt über eine starke Persönlichkeit. Irgendwie gewinnt er immer Menschen. Er hat so viele Menschen um sich, für die er was ganz besonderes ist. Das ist schon eine Wahnsinns-Entwicklung.
Er ist schon momentan manchmal ein Sturkopf und will mit dem Kopf durch die Wand, aber wenn er abends dann angefahren kommt, weil er noch mal auf den Arm möchte, sich Mühe gibt (mit Hilfe) aufzustehen und seinen Kopf an meine Schulter schmiegt, ist doch wieder alles vergessen. Natürlich ist mit ihm alles anders und dabei ist er ganz besonders.
Wir haben ihn sehr lieb.

Julian ist Schulkind

Es ist so weit – Julian geht nun seit 2,5 Wochen zur Schule und was sollen wir sagen: Es ist so vieles ganz normal.

Das fing schon damit an, dass wir ein kleines Büchlein „Endlich Schulkind“ gekauft haben. Klingt jetzt vielleicht etwas komisch. Aber es ist tatsächlich das erste Mal, dass wir so ein Büchlein sinnvoll nutzen konnten. Die Bücher zur Geburt, die ersten Jahre oder „Was ich schon alles kann“, die es so gibt, passten bei Julian einfach nicht. Wir haben dann lieber selber etwas erstellt. Doch jetzt konnten wir alle Seiten wundervoll nutzen: Einschulungsfest, Kaffeetrinken mit den Großeltern, Schultüte, Stundenplan, usw. Es ist richtig schön geworden.

Und so schön war auch der erste Schultag an der Liboriusschule. Ok, coronabedingt war er dann wieder nicht so ganz normal. Jedoch kennen wir ihn ja gar nicht anders. Als wir ankamen (natürlich bemaskt) haben wir alle Namensschilder bekommen. Dann ging es in die Turnhalle, in der für jede Familie ein richtig schön gedeckter Tisch stand. Das war eigentlich sogar schöner als das Gewusel, das man sonst vom ersten Schultag kennt. So konnten man in Ruhe alle anderen Kindern und Familien anschauen. Es hat auch Vorteile!

Es gab einen Wortgottesdienst, bei dem gerasselt statt gesungen wurde – kam Julian sehr entgegen. Rasseln kann er nämlich besser als singen 😉 Es gab ein kleines Theaterstück vom „Ernst des Lebens“, das die 2. Klasse vorbereitet hatte (auf Folien – echt schön gemacht) Es haben sich die Lehrer, Therapeuten und der Pflegebereich vorgestellt – und natürlich wurden alle Kinder einzeln begrüßt. Insgesamt sind 19 Kinder eingeschult worden – so viele wie lange nicht mehr. In Julians Klasse gehen 10 Kinder – das ist doch mal eine Klassengröße, die wir uns für alle Kinder wünschen würden, oder. Jede Klasse wird von einem Team mit 3 Lehrern betreut – 2 sind mindestens gleichzeitig in der Klasse. Zu Julians besonderer Freude gibt es auch einen Musiklehrer. Wir finden alle drei Lehrer/innen richtig toll.

Die Kinder waren auch schon einmal in der Klasse. Da Julian ja im Rollstuhl sitzt, hat sein Tisch eine kleine Ausbuchtung, damit er besser am Tisch sitzen kann. Ich fand es einfach nur toll, dass Julian einen Platz und einen Tisch in der Klasse hat. Wie gesagt – es fühlt sich soooo herrlich normal an. Nachmittags gab es noch eine kleine Party mit Oma und Opa. Das war auch sehr schön.

Am Dienstag hatten wir dann auch schon den ersten Elternabend. Auch total normal – man sitzt auf den zu kleinen Stühlen und weiß gar nicht, wie man sich hinsetzen soll; man guckt auf dem Tisch herum, wenn es darum geht, wer als Klassenpflegschaftsvorsitzender gewählt wird; man ist froh, wenn sich 2 freiwillig melden (verrückt hat auch bei nur 6 anwesenden Eltern geklappt) und man gründet eine WhatsApp-Gruppe. Alles ganz normal. Herrlich!

Ok. Ein paar Besonderheiten gibt es schon. Der Stundenplan enthält so lustige Dinge wie „Materialerfahrung“, „Vorhaben“ und „Snoezeln“, Julian wird jeden Tag mit dem Bulli abgeholt und nach Hause gebracht, Hausaufgaben gibt es keine. Nun hoffen wir, dass Julian immer mehr lernt, mit seinem Talker zu kommunizieren. Das ist weiterhin aktuell die größte Herausforderung und unser größter Wunsch, dass wir mit ihm kommunizieren können.

Damit gehen nun unsere beiden Kinder in die Schule. Nach der langen Home-Office, -Schooling, -Kindergarding-Zeit zu Hause, ist es nun echt ruhig zu Hause geworden. Um 8 Uhr sind alle aus dem Haus und ich (oder wir, wenn Philipp da ist) genießen die Ruhe mit einem Kaffee. Und jeden Tag sitze ich da und bin so dankbar dafür, dass es an diesem Tag so wunderbar geklappt hat. Einfach nur schön.

Was hat er denn?

Eltern und Großeltern von Kleinkindern kennen es. Wenn ihr Freunde mit kleinen Kindern habt und/oder Neffen / Nichten, die noch keine 2 Jahre alt sind, kennt ihr das auch: Das Kind schreit, kann noch nicht sprechen oder redet in einem undefinierbaren Kauderwelsch und dann steht man als Erwachsener davor und denkt: „Was hat er/sie denn bloß???“. Je jünger und unbekannter die Kinder sind, desto weniger befriedigend wird die Antwort darauf ausfallen. Die gute Nachricht ist, dass die Kinder in der Regel zwischen 2 und 4 Jahren so schnell sprechen lernen, dass diese Situation dann zu einer absoluten Ausnahme wird.

Wer unsere Geschichte etwas verfolgt hat, weiß, dass bei uns das mit der Normalität und „in der Regel“ so eine Sache ist. Julian ist nun 6,5 Jahre alt und vom Sprechen Lichtjahre entfernt. Wir haben für ihn ein so genanntes Sprechventil. Das steckt man auf seine Kanüle und darüber kann die Luft dann über die oberen Atemwege und vor allem an der Stimmritze vorbeirauschen – wichtigste Voraussetzung, um überhaupt sprechen zu können. Er mag es nicht besonders und es ist auch recht anstrengend für ihn. Das Ergebnis des Sprechventils ist aktuell, dass „RRRR“-Laute aus dem Kind kommen. Die können schon durchaus variieren und auch lauter oder leiser sein. Jedoch sind wir auch da von einem echten Sprechen sehr weit entfernt.

Dann gibt es die nonverbale Kommunikation: mit den Füßen trappeln, den Kopf hin- und her schmeißen, „fauchen“, den Oberkörper so wild hin und her werfen bis der Rolli wackelt oder als letztes Mittel: spucken. Ich sage mal so: Unmut des Zauberprinzen erkennen damit auch Menschen, die ihn sonst nicht so kennen. Allerdings geht es auch nicht darüber hinaus. Schließlich kann er nicht äußern, ob er z.B. Hunger hat, die Windel voll hat, er eine andere Geschichte hören möchte, er mit dem Bruder eine Sendung gucken möchte, nach draußen möchte, Schmerzen hat oder er einfach unklar bockig ist. Gerade letzteres spüren wir in letzter Zeit immer wieder. Fast scheint es so als hole er die Trotzphase nach, in die er aufgrund anderer Herausforderungen verspätet gestartet ist. Er versucht dann durchaus mit dem Kopf durch die Wand – bzw. mit dem Rolli durch die Gardine (grrrrrr……).

Nun könnt ihr euch vorstellen, dass es nach 6,5 Jahren wirklich nervt. Obwohl wir Julian natürlich schon sehr gut kennen und oft richtig damit liegen, was nun das Problem ist, ist es auf Dauer wirklich nervig und anstrengend. Einfach weil man diese Phase des Nichtverstehens nicht verlässt. Und es ist auch nicht so einfach, passend zu reagieren. Angenommen er wirft seinen Kopf hin und her. Das kann nun folgende Gründe habe:

  • Er hat tatsächlich einfach Spaß sich zu bewegen. Andere Kinder laufen den ganzen Tag herum und so hat Julian auch einen entsprechenden Bewegungsdrang.
  • Er hat Schmerzen. Sehr ungünstig, wenn wir das nicht erkennen.
  • Er bockt rum, weil er zum Beispiel nicht in besagte Gardine fahren darf.

Nun würde man ja unterschiedlich reagieren und es ist wirklich ungünstig, wenn wir mit ihm schimpfen, wenn er Schmerzen hat. Erziehung ist damit bei einem behinderten Kind besonders herausfordernd.

Eine neu Welt eröffnet sich da mit der unterstützen Kommunikation. Es hat wirklich lange gedauert bis wir hier den richtigen Zugang hatten. Zum Glück hatten wir die Unterstützung durch den Kindergarten. Einen Talker haben wir bereits zu Hause – das ist aber noch zu viel für Julian. Was aktuell sehr gut klappt, sind die Ja/Nein-Karten. Wir stellen ihm eine Frage und er kann durch die Tippen auf die jeweilige Karte antworten. Das klappt wirklich zunehmend besser. Ok – wir fragen ihn nicht: „Bist du bockig?“ sondern „Willst du deine Ruhe haben?“ 😉 Und manchmal hat er auch keine Lust zu antworten – das ist aber bei anderen 6jährigen auch nicht groß anders. Besteht nur noch die Herausforderung, dass man die richtigen Fragen stellt. Stellt euch mal vor, ihr müsstet jeglich Kommunikation mit eurem Kind mit Ja/Nein-Antworten führen. Dann könnt ihr euch ungefähr vorstellen, welche Herausforderungen das so birgt.

Dennoch: Wir sind sehr froh überhaupt diese Möglichkeit nun zu haben. 🙂